Dass es sich bei diesen fahrenden HändlerInnen und HandwerkerInnen um Jenische handelte, war damals den meisten bekannt. Heute ist diese Minderheitengruppe jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten. Jenische leben in ganz Europa – vor allem in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Österreich, früher auch in Südtirol. Eine Besonderheit ist ihre Sprache: Sie ähnelt der jeweiligen Landessprache – sie klingt beispielsweise wie Tirolerisch –, ist aber für Außenstehende kaum verständlich. Begriffe wie „Scheinling“ (Auge), „Muff“ (Nase), „Buxen“ (Hose), „Süßling“ (Zucker), „Gadschi“ (Sesshafte), „Mosch“ (Frau) oder „Hegel“ (Mann) sind nur einige wenige Beispiele für vertraut klingende Wörter.
Bis ins 20. Jahrhundert gehörten die Jenischen mit ihren Karren, die sie selbst zogen oder manchmal von Hunden ziehen ließen, zum Straßenbild Tirols dazu. Ihre Lebensweise war „seminomadisch“: Im Frühjahr fuhren sie als Korbflechter, Kesselflicker oder Messerschleifer durch die Lande und boten ihre handwerklichen Fähigkeiten an. Die kalten Monate verbrachten sie in ihren Winterquartieren – oft am Rand der Gesellschaft, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie lebten an Orten, die von Muren und Lawinen bedroht waren und wo sonst niemand wohnen wollte. Daher stammen auch abwertende Bezeichnungen wie „Laninger“ oder „Karrner“ vom Karrenziehen.
Von Ablehnung und Verfolgung
Die Jenischen waren wegen ihres handwerklichen Geschicks vielerorts geschätzt und willkommen. Doch ihre unkonventionelle Lebensweise stieß auch auf Ablehnung. Gesetzliche Hürden und behördliche Verfolgung zwangen sie zunehmend zur Sesshaftigkeit. Diese Diskriminierung erreichte ihren grausamen Höhepunkt während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, als Jenische als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ verfolgt und ermordet wurden. Auch nach 1945 wurden viele Kinder jenischer Herkunft ihren Familien entrissen und in Heimen untergebracht. Um sich zu schützen, verbargen viele Jenische ihre Sprache und Kultur. Ihre Eigenständigkeit und ihr mobiles Leben wurden oft missverstanden und mit negativen Vorurteilen belegt – Klischees, mit deren Folgen ihre sesshaften Nachfahren bis heute zu kämpfen haben.Doch die Geschichte der Jenischen ist nicht nur eine Geschichte von Diskriminierung, Verfolgung und behördlicher Schikane. Es gibt zahlreiche Überlieferungen, die belegen, dass diese Gemeinschaft sich ihrem Schicksal nicht widerstandslos ergab. Immer wieder leisteten Jenische auf unterschiedliche Weise Widerstand gegen Ausgrenzung und Ungerechtigkeit.
Forschungsprojekt mit Zeitzeugenaufruf
Im Juni 2024 startete ein vom Land Tirol gefördertes Forschungsprojekt: Im Mittelpunkt stehen die Widerstandspraktiken der Jenischen im 20. Jahrhundert. Gesucht werden Erinnerungen von ZeitzeugInnen und andere Überlieferungen, um ein bisher wenig bekanntes Kapitel der Geschichte dieser Minderheit zu dokumentieren.„Ziel ist es, kleine und große, wirksame und unwirksame, eigensinnige oder kompromissbereite Auflehnungen gegen Behörden oder im Alltag zu dokumentieren und deren Einfluss auf das heutige Selbstverständnis Jenischer zu untersuchen“, erklärt Michael Haupt von der „Initiative Minderheiten“. Das Projekt „Ich hab das nicht akzeptiert! Jenische Widerstandspraktiken im Tirol des 20. Jahrhunderts“, das in enger Zusammenarbeit mit Jenischen durchgeführt wird, soll dazu beitragen, die historische und kulturelle Identität dieser Gemeinschaft zu bewahren und sichtbar zu machen.
Aufruf zur Mitarbeit
Die „Initiative Minderheiten“ bittet um Unterstützung: Wer Erinnerungen, Fotos, Dokumente oder andere Informationen zur jenischen Kultur beisteuern kann, wird gebeten, sich zu melden:Tel.: 0650 3308666
E-Mail: info@jenisches-archiv.at
Informationen zum Projekt finden Sie unter www.jenisches-archiv.at unter der Rubrik „Forschung“.